Ferienresorts, Erlebnisbäder, Einkaufszentren - eine Millionen-Abzocke?

Kapitalanlagen: Risiko Immobilienfonds

DER SPIEGEL 16/1999 - 19. April 1999 URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,19439,00.html

Immobilien

Mondpreise für Luftschlösser

Mit satten Renditen haben Immobilienhändler betuchte Anleger aus dem Westen in den deutschen Osten gelockt. Doch die Gewinne bleiben aus, Investoren bangen um ihr Geld. Jetzt haben Anleger den Kaufmann Jürgen Hanne, einen der Großen der Branche, wegen Betrugs angezeigt.

Schnurgerade führen die neu angelegten Straßen an weißverputzten Fassaden vorbei, an jeder Ecke sind großzügige Stellplätze für Autos angelegt. Hinter den Häusern beginnt der frisch gesäte Rasen zu sprießen.

Die 56 Neubauten in Nächst-Neuendorf, einem Flecken etwa 30 Kilometer südlich von Berlin, könnten als Mustersiedlung für die Werbung einer Bausparkasse dienen, wenn nicht die Totenstille wäre. Kein Mensch ist in der Anlage zu sehen, überall sind die Jalousien heruntergezogen. Am ausgestorbenen "Dienstleistungscenter" mit Lebensmittelmarkt, Apotheke, Friseur- und Fußpflegesalon bröckelt der Putz. Der "Wohnpark Nächst-Neuendorf" ist eine Geisterstadt.

Ein Paradies für alte Leute und clevere Geldanleger sollte das kleine Dorf mit 195 Wohneinheiten werden. Wer in die "Seniorenresidenz" investiere, dem versprach der Verkaufsprospekt Renditen von bis zu "ca. 19,14 Prozent jährlich" - langfristig, denn "der Bedarf an seniorengerechtem Wohnraum" garantiere "mit hoher Wahrscheinlichkeit" die dauerhafte Auslastung des Altenzentrums.

Alles Illusion - die über 62 Millionen Mark teure Anlage wurde viel später fertig als geplant, nun steht sie leer. Viele der fast 200 Anleger aus ganz Deutschland halten Nächst-Neuendorf mittlerweile für ein Luftschloß im Reich des Immobilienhändlers Jürgen Hanne.

Wie kaum ein zweiter verkörpert der Berliner Kaufmann die deutsche Immobilienbranche nach der Wende. Rund 1,5 Milliarden Mark sammelte die Dr. Hanne Grundstücks GmbH bei Tausenden privaten Geldgebern und bei Banken ein. Innerhalb von sechs Jahren setzte die Firma mit diesem Geld vier Hotels und 21 Altenheime vor allem in die ostdeutsche Landschaft.

Doch kaum einer von Hannes Immobilienfonds hat gehalten, was die Kataloge versprachen, die meisten Seniorenresidenzen wirken verwaist oder zumindest überdimensioniert.

* Bei der Eröffnung der Seniorenresidenz Hoppegarten-Neuenhagen 1993 mit Bundespräsident Roman Herzog (Ausriß aus einem Verkaufsprospekt).

Wütende Anleger fordern ihre Einlagen zurück, Fonds-Gesellschafter haben Hanne angezeigt. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Anlagebetrug - nach dem Fall Schneider könnte Deutschland eine weitere spektakuläre Immobilien-Pleite erleben.

Jürgen Hanne ist auf dem Anlagemarkt kein Unbekannter. Schon in den achtziger Jahren sammelte der promovierte Jurist als Geschäftsführer und Gesellschafter der Berliner Konzepta Unternehmungsgruppe Geld für Bauherrenmodelle und andere Beteiligungsgesellschaften ein. Später stieg Hanne ins Öl- und Erdgasgeschäft ein. Er animierte risikofreudige Deutsche, ihr Geld in die Suche nach Ölfeldern zu stecken - angeblich ein lukratives Geschäft.

Doch Anfang der neunziger Jahre lockte die deutsche Einheit. Großzügig verteilte die Regierung zur Entwicklung der neuen Bundesländer das Geld unter die gutverdienenden Leute. Es bedurfte nur findiger Ideen, um das Kapital der vermögenden Steuersparer abzuschöpfen.

Hanne legte geschlossene Immobilienfonds am Fließband auf: Zuerst lockte er Anleger mit dem Bau von Billig-Hotels, später vor allem mit Seniorenresidenzen. Er beglückte kleinste Gemeinden wie Ferch und Großziethen ebenso mit neuen Altenheimen wie Dresden, Chemnitz oder Halle. Auch edle Immobilien wie die Residenzen "Voltairepark" in Potsdam, Gesamtinvestition 66 Millionen Mark, oder "Dresdner Hof" in Leipzig (110 Millionen Mark) gehören zum Hanne-Imperium (siehe Grafik Seite 67).

Der Einfallsreichtum des Immobilienhändlers kannte keine Grenzen. In Nächst-Neuendorf ließ er Häuser als Seniorenresidenzen vertreiben, die eigentlich für Familien konzipiert worden waren. In Magdeburg und Fürstenwalde pries er "nach neuesten Erkenntnissen der Seniorenforschung" errichtete Anlagen mit schönen Bildchen an. In Wirklichkeit waren die Altersruhestätten, zumindest teilweise, umgebaute Plattensiedlungen.

Der Markt nahm alles ab: Vertriebsleute wie Manfred Kersting (siehe SPIEGEL 48/1998), Jürgen Hainzl oder die Prinz zu Hohenlohe-Jagstberg & Banghard GmbH brachten alles unter die Leute, was die Steuer drückte. Das Fachmagazin "Cash" schwärmte vom "Dynamiker" Hanne. Schließlich versprachen alle Fonds-Prospekte hohe Ausschüttungen und exzellente Belegungszahlen.

Architekten, Steuerberater, Rechtsanwälte, Kaufleute und Bankvorstände investierten ebenso wie Landwirte, Ärzte, Musiker, Lehrer und Bestattungsnehmer, meist Beträge zwischen 20 000 und einer Million Mark. Die meisten Anleger reizte nicht nur die Steuerersparnis, sie sahen die Immobilien als solide Alterssicherung.

Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten: Die Fertigstellung vieler Projekte verzögerte sich, Ausschüttungen blieben aus. Als ein Hamburger, der insgesamt 360 000 Mark in sieben Fonds angelegt hatte, sein Investition inspizierte, war er geschockt: Viele Immobilien lagen "wie tot da - ich fürchte, auf einen maßlosen Schwindel reingefallen zu sein".

Der Berliner Anwalt Wolfgang Schirp, der Anleger von acht Objekten vertritt, durchleuchtete Hanne-Fonds. Er ist überzeugt: Vor allem Altenheime wie Nächst-Neuendorf seien "am Markt vorbei geplant worden" und das zu "Mondpreisen".

Monatsmieten von 27,11 Mark (Nächst-Neuendorf) und 30,55 Mark (Magdeburg) bis 48 Mark (Leipzig) pro Quadratmeter erwiesen sich als reines Wunschdenken, so daß selbst vollbelegte Häuser wie Hoppegarten-Neuenhagen minus machten. Anlagen wie der Dresdner Hof in Leipzig gelten bei Mieten von 5980 Mark für ein 48-Quadratmeter-Appartement derzeit als schwer oder gar nicht vermittelbar.

Hanne hat ein verschachteltes System aus Fondsauflegern, Vertreibern, Betreibern und Mietgaranten gebildet, das kaum noch zu durchschauen ist. Gespeist wurde das Gebilde durch fortlaufendes Wachstum. Mit der Auflegung immer wieder neuer Fonds kam stets frisches Geld in den Kreislauf, mit dem sich lange Zeit Lücken schließen ließen.

Doch nun häufen sich die Flops. So mußten die Betreiberfirmen Palladion und PeWoBe, Unternehmen der Berliner Penz-Gruppe, wegen der flauen Nachfrage die im Prospekt zugesagten Pachtzahlungen einstellen und Konkurs anmelden - laut Hanne wegen der "wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse" der Penz-Gruppe.

Im Seniorenzentrum Hoppegarten-Neuenhagen war das Finanzchaos zwischenzeitlich so groß, daß der Energieversorger Oseag, der monatelang kein Geld bekommen hatte, den Strom abstellte und Omas und Opas schon mal im Dunkeln saßen.

Der renommierte "Platow Brief", ein Mediendienst für Anlageprofis, warnte im vergangenen Oktober ausdrücklich vor Hannes Seniorengeschäft: Das sei ein Gewerbe für Profis und habe mit einer "Immobilienanlage nicht mehr zu tun als eine Produktionshalle für Druckknöpfe". Hanne gibt "Umstellungsschwierigkeiten zu", sobald die überwunden seien, verspricht er, würden "wieder Ausschüttungen fließen".

Darauf wollen manche nicht warten. Anfang des Jahres zeigten Anleger Hanne bei der Staatsanwaltschaft Berlin "wegen Kapitalanlagebetrug" an. Dabei geht es um die ersten Hotel-Fonds, die Hanne 1994 aufgelegt hat. Im Prospekt hatte eine Grundstücksgesellschaft damit geworben, daß die renommierte amerikanische Sterling-Gruppe als Pächter bereit stünde.

In Wahrheit, so stellt sich jetzt heraus, bestand spätestens seit Mitte 1995 gar kein gültiger Vertrag mehr zwischen Hanne und Sterling. Als er erfahren habe, daß es mit Sterling nicht klappe, sagt Hanne, habe er den Verkauf der Anteile gestoppt.

Aber auch bei den von Hanne versprochenen Auslastungsquoten glauben die Anleger, Manipulationen nachweisen zu können. Im August 1995 erreichte den Betreiber der von Hanne gebauten Good-Night-Inn-Hotels die Anfrage eines potentiellen Kunden, der sich nach der Auslastung der Herbergen erkundigte.

Da die Betten-Belegung katastrophal war, fragte das Hotel-Management bei Hanne nach, was zu tun sei. Die Hoteliers fertigten einen Entwurf, der im Büro Hanne jedoch keine Gnade fand. Handschriftlich änderten Hanne-Mitarbeiter nochmals die Belegungsquote, legten die "Durchschnittsbelegung" des Hotels in Eisenach auf "ca. 43 %" fest und faxten den Brief zurück zur Hotelleitung mit der Bitte, "die Änderungen wie anliegend vorzunehmen". Die Zahl 43 entsprach exakt dem in Hannes Prospekten genannten "breakeven-point".

In einem anderen Fall könnte Hanne das Bemühen, ständig Löcher stopfen zu müssen, in Bedrängnis bringen. Bei der Magdeburger Seniorenresidenz ging die sogenannte Pre-Opening-Gebühr - 930 000 Mark, die zum Anschub des Objektes verwendet werden sollten - nicht an die dafür vor-gesehene Betreibergesellschaft. Das Geld kassierte vielmehr die PeWoBe, die durch ihre Aktivitäten bei anderen Fonds in Schieflage geraten war und die Hanne übernehmen wollte.

Als das einige Anleger herausfanden, forderten sie nicht nur ihr Geld, insgesamt mehrere Millionen Mark, zurück. Sie informierten auch den Staatsanwalt.

Nun hat Hanne einen neuen Dreh gefunden, an Kapital zu kommen: Die KBN Seniorenheim Beratungs- und Beteiligungs GmbH, die einen Großteil seiner Seniorenresidenzen gepachtet hat und an denen er maßgeblich beteiligt ist, wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Durch den Verkauf von Anteilen sollen 25 Millionen Mark in die Kassen fließen. Die KBN, verspricht Hanne, werde sich zu "einem großen privaten Betreiber der Altenhilfe entwickeln". UDO LUDWIG