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Vier-Tore-Therme Neubrandenburg

Auszug aus dem Jahresbericht 2002 des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern

Quelle: http://www.lrh-mv.de/Veroeffentlichungen/jahrb.html

Vier-Tore-Therme Neubrandenburg - Veräußerung eines städtischen Grundstücks und Vergabe eines Darlehens an die Investorin

Bei Veräußerung des Thermengrundstücks Ende 1996 an die Investorin hat die Stadt Neubrandenburg ihr für bestimmte Fälle des Scheiterns des Projekts die Erstattung von Aufwendungen und Vergütung von Planungsleistungen zugesagt. Ende 1999 veranlasste der seinerzeitige Geschäftsführer der städtischen Gesellschaften Neubrandenburger Stadtwerke GmbH (NSW) und energycon GmbH (energycon) pflichtwidrig die Auszahlung eines Darlehens über 6,3 Mio. DM (3,2 Mio. €) an die Investorin. Für eine Rückzahlung des Darlehens bestehen keine Aussichten.

(503) Das gescheiterte Projekt eines Erlebnisbades in Neubrandenburg, der sogenannten Vier-Tore-Therme, sollte nach den Vorstellungen der Investorin, einer Kommanditgesellschaft mit Sitz in Nordrhein-Westfalen (A-KG), und der Stadt Neubrandenburg aus Fördermitteln des Landes und im Übrigen ganz überwiegend durch Darlehen kommunaler Gesellschaften finanziert werden. Der Landesrechnungshof leitete am 11.10.1999 ein Verfahren zur Prüfung der seinerzeit noch vorgesehenen Zuwendungen für die Vier-Tore-Therme in Neubrandenburg ein (vgl. Jahresbericht 2000, Tzn. 501 bis 523).

Der Landesrechnungshof stellte im Wesentlichen fest, dass das Wirtschaftsministerium eine Förderung der Vier-Tore-Therme zu Recht abgelehnt hatte. Mit dem von der Stadt und der Investorin entwickelten Modell einer Finanzierung der Therme unter Einbindung der kommunalen Gesellschaften NSW und energycon konnte der für eine Förderung des Projekts erforderliche Nachweis der Gesamtfinanzierung nicht geführt werden. Nach Auffassung des Landesrechnungshofes hatte die A-KG die nachhaltige Rentabilität der Vier-Tore-Therme nicht ausreichend belegt. Auch hieraus begründeten sich Zweifel am Nachweis der Gesamtfinanzierung.

(504) Diese Ergebnisse der Zuwendungsprüfung geboten das Vorziehen der seit langem vom Landesrechnungshof geplanten Prüfung der Beteiligungsverwaltung der Stadt Neubrandenburg. Die von der Stadt betriebene Einbindung ihrer kommunalen Gesellschaften NSW und energycon in ein zum Scheitern verurteiltes und für diese Gesellschaften risikobehaftetes Projekt warf die Frage auf, ob die zuständigen städtischen Organe und Dienststellen die Aufgaben der Verwaltung, des Controllings und des Managements bzw. der Steuerung der kommunalen Gesellschaften ordnungsmäßig, also unter Beachtung kaufmännischer Grundsätze und der einschlägigen Rechtsvorschriften, wahrgenommen hatten.

(505) Der Landesrechnungshof hat ferner am 21.9.2000 im Rahmen seiner Kompetenzen nach §§ 14 ff. Kommunalprüfungsgesetz (KPG) die mit der Prüfung des Jahresabschlusses 1999 der energycon betraute Wirtschaftsprüfergesellschaft beauftragt, die Einbindung der energycon in das Projekt Vier-Tore-Therme unter gesellschaftsrechtlichen und bilanzrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung, vertieft zu prüfen.

(506) Der Landesrechnungshof hat am 24.7.2001 einen Sonderbericht zum Projekt Vier-Tore-Therme vorgelegt. Gegenstand dieses Berichts sind die Erkenntnisse, die der Landesrechnungshof bei Prüfung der Beteiligungsverwaltung der Stadt Neubrandenburg im Hinblick auf das Thermenprojekt gewinnen konnte, ferner die vom Landesrechnungshof vielfach nicht geteilten Bewertungen der Jahresabschlussprüfer der energycon gemäß Auftrag vom 21.9.2000. Der Landesrechnungshof hat in seinem Sonderbericht folgende wesentliche Feststellungen getroffen:

Verkauf des Thermengrundstücks an die A-KG

(507) Am 28.10.1996 veräußerte die Stadt Neubrandenburg auf Grund eines Beschlusses der Stadtvertretung vom 26.9.1996 der A-KG das Grundstück für die Therme. In § 8 Nr. 8 des Grundstückskaufvertrags übernahm die Stadt die Verpflichtung, unter bestimmten Voraussetzungen im Falle eines Fehlschlagens des Vorhabens der A-KG deren Aufwendungen und Eigenleistungen für die Entwicklung des Konzepts und der Planung der Therme zu erstatten bzw. zu vergüten.

Nachdem das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern der A-KG mit Schreiben vom 10.4.2000 mitgeteilt hatte, dass der bereits erteilte Zuwendungsbescheid unwirksam geworden und eine Förderung des Vorhabens aus öffentlichen Mitteln nicht mehr vorgesehen sei, haben sowohl die Stadt Neubrandenburg als auch die A-KG wechselseitig den Rücktritt vom Grundstückskaufvertrag erklärt. Die A-KG machte unter Berufung auf die vertragliche Bestimmung des § 8 Nr. 8 gegenüber der Stadt Ansprüche auf Aufwendungsersatz geltend und bezifferte diesen mit rd. 15,2 Mio. DM (rd. 7,8 Mio. €). Einen Teilbetrag von 1,32 Mio. DM (675.000 €) machte die A-KG bei dem Landgericht Neubrandenburg anhängig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 1.8.2001 nahm die A-KG ihre Klage zurück. Die Gefahr, Aufwendungsersatz zahlen zu müssen, ist damit zunächst abgewendet. Über den Anspruch der A-KG ist damit allerdings noch nicht rechtskräftig entschieden worden.

(508) Bei Aushandlung und Abschluss des Vertrags vom 28.10.1996 sind die finanziellen Interessen der Stadt nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gewahrt worden. Bei Veräußerung von kommunalen Grundstücken für Investitionsvorhaben muss unbedingt sichergestellt werden, dass typische Investorenrisiken wie das Fehlschlagen der Finanzierung nicht ganz oder teilweise durch Vereinbarungen über die Erstattung von Aufwendungen für die Planung gleichsam kommunalisiert werden.

(509) Die von der Stadt mit Vertrag vom 28.10.1996 übernommene Verpflichtung, unter bestimmten Voraussetzungen der A-KG Planungsaufwendungen zu erstatten, fällt als wichtige Angelegenheit gemäß § 22 Abs. 2 KV M-V in die Zuständigkeit der Stadtvertretung. Der seinerzeitige Oberbürgermeister hat den Grundstückskaufvertrag jedoch ohne die erforderliche Zustimmung der Stadtvertretung abgeschlossen. Die Stadtvertretung ist von ihm über die Vereinbarung eines Aufwendungsersatzanspruchs der A-KG nicht informiert worden. Deshalb ist diese Vertragsbestimmung von der Zustimmung der Stadtvertretung vom 26.9.1996 zum Verkauf des Thermengrundstücks nicht gedeckt.

Übertragung des Thermengrundstücks an die A-KG

(510) Die Auflassung für das Thermengrundstück wurde nicht bei Abschluss des Kaufvertrags am 28.10.1996 erklärt. Die beurkundende Notarin wurde angewiesen, eine Vertragsausfertigung mit der Auflassungserklärung beim Grundbuchamt einzureichen, sobald die Zahlung des Kaufpreises nachgewiesen worden war. Die Notarin und ihre Notariatsangestellten wurden ermächtigt, die Auflassung und sämtliche weiteren erforderlichen Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.

Am 13.8.1999 bestellte die A-KG auf dem Thermengrundstück eine Eigentümergrundschuld über 24 Mio. DM (12,3 Mio. €) zzgl. 20 % Zinsen jährlich und einer einmaligen Nebenleistung i. H. v. 6 %. Spätestens Anfang Februar 2000 war zu erkennen, dass die A-KG voraussichtlich keine Fördermittel des Landes erhalten würde, weil sie den hierfür erforderlichen Nachweis der Gesamtfinanzierung des Projekts nicht führen konnte. Die Stadt Neubrandenburg hat ihre Vollmacht zur Erklärung der Auflassung jedoch nicht widerrufen. Am 23.3.2000 erklärte ein Notariatsangestellter für die Stadt und die A-KG die Auflassung für das Thermengrundstück. Die Eintragung der A-KG im Grundbuch als Eigentümerin erfolgte am 30.3.2000; die Eintragung der Eigentümergrundschuld vom 13.8.1999 am 3.4.2000.

(511) Nachdem spätestens Anfang des Jahres 2000 Zweifel an der Finanzierung und damit am Bau der Therme hätten aufkommen müssen, wäre es im Interesse der Stadt Neubrandenburg gewesen, das uneingeschränkte, nicht durch Grundpfandrechte belastete Eigentum am Thermengrundstück zu behalten. Unter diesen Umständen hätte unbedingt ein Widerruf der Vollmachtserklärung der Auflassung geprüft werden müssen, zumindest aber eine Anweisung an die Notarin, von ihrer Vollmacht bis auf weiteres nicht Gebrauch zu machen.

(512) Nach Einschätzung des Landesrechnungshofes kann die A-KG als Eigentümerin des Thermengrundstücks bzw. als Berechtigte aus der Eigentümergrundschuld die Auseinandersetzung mit der Stadt Neubrandenburg und den städtischen Gesellschaften nach Scheitern des Projekts aus einer Position der Stärke heraus führen. Durch den Übergang des Eigentums auf die A-KG wird der Druck auf die städtische Seite verstärkt, Konzessionen zu machen. Ein rechtzeitiger Widerruf der Vollmacht bzw. die rechtzeitige Aussetzung der Auflassung hätte diese für die städtische Seite prekäre Situation vermieden.

Abschluss eines Darlehensvertrags mit der A-KG und Auszahlung des Darlehens

(513) Die Stadtvertretung Neubrandenburg hat am 20.5.1999 einer Beschlussvorlage des seinerzeitigen Oberbürgermeisters über die Mitwirkung städtischer Gesellschaften und der Stadt an der Finanzierung der Therme u. a. im Wege der Gewährung von Krediten städtischer Gesellschaften an die A-KG zugestimmt. Bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung war erkennbar, dass das hiermit verfolgte Ziel einer Sicherstellung der Finanzierung der Therme verfehlt werden musste und die Gewährung von Krediten an die A-KG mit erheblichen Ausfallrisiken verbunden sein würde. Mit diesem Finanzierungsmodell konnte der Nachweis der Gesamtfinanzierung nicht geführt werden. Deshalb bestanden auch keine Aussichten auf die Ausreichung von Fördermitteln des Landes.

Eine ausreichende Information der Stadtvertretung über diese Risiken ist nicht erfolgt.

(514) Nach Befassung von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der NSW im Juli 1999 schlossen die NSW-Tochter energycon und die A-KG am 27.9.1999 einen Darlehensvertrag über 6,7 Mio. DM (3,4 Mio. €). Dieser Vertrag weicht zu Lasten der energycon bei einer Auszahlungsvoraussetzung und bei der Besicherung des Darlehens von dem Vertragsentwurf ab, der Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der NSW im Juli 1999 zur Beschlussfassung vorgelegt worden war. Aus diesem Grund hat die seinerzeitige Geschäftsführung der energycon bzw. der NSW mit dem Abschluss des Darlehensvertrags gegen ihre kaufmännischen Sorgfaltspflichten verstoßen.

(515) Ein finanzieller Schaden ist der energycon erst durch Auszahlung (Valutierung) des Darlehens in zwei Teilbeträgen am 1.10.1999 (5,2 Mio. DM / 2,7 Mio. €) und 17.11.1999 (1,1 Mio. DM / 562.400 €) entstanden. Zumindest zwei vertragliche Auszahlungsvoraussetzungen waren im Zeitpunkt der Valutierung nicht erfüllt. Bei diesen Voraussetzungen handelt es sich zum einen um den Nachweis der gesicherten Gesamtfinanzierung durch schriftliche Bestätigung der Förderfähigkeit der Therme seitens des Landesförderinstituts und zum anderen um die Genehmigung einer zur Sicherung der Finanzierung der Therme abgegebenen Einredeverzichtserklärung der Stadt Neubrandenburg durch das Innenministerium. Eine schriftliche Bestätigung der Förderfähigkeit hat es ebenso wenig gegeben wie eine Genehmigung des Innenministeriums. Die energycon hätte bis zur Erfüllung dieser Voraussetzungen durch die A-KG die Auszahlung des Darlehens verweigern können.

(516) Der Darlehensrückzahlungsanspruch der energycon ist angesichts des Scheiterns des Thermen-Projekts und derzeitigen Vermögenslosigkeit der A-KG wertlos. Die seinerzeitige Geschäftsführung der energycon bzw. der NSW trägt für die Auszahlung des Darlehens und den hieraus resultierenden finanziellen Schaden die Verantwortung. Der Landesrechnungshof hat die Stadt Neubrandenburg aufgefordert, die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die Geschäftsführung zu prüfen.

Ablauf des Prüfungsverfahrens

(517) Der seinerzeitige Oberbürgermeister hat das Prüfungsverfahren unter Verstoß gegen die Pflicht zu Kooperation mit dem Landesrechnungshof aus § 9 Abs. 1 KPG zwischen Dezember 2000 und Ende Mai 2001 blockiert und insbesondere die Vorlage wichtiger Unterlagen abgelehnt. Hiervon ist er erst abgegangen, als das Innenministerium als oberste Rechtsaufsichtsbehörde die Stadt durch entsprechende Weisung zur Erfüllung ihrer Pflichten angehalten hatte.

Verantwortlichkeit des seinerzeitigen Oberbürgermeisters

(518) Der seinerzeitige Oberbürgermeister trägt gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 KV M-V die Verantwortung dafür, dass die Stadt mit Abschluss des Grundstückskaufvertrags ohne sachlichen Grund das Risiko einging, Aufwendungen und Eigenleistungen der A-KG für die Entwicklung des Konzepts und die Planung der Therme erstatten bzw. vergüten zu müssen. Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 KV M-V trägt er auch die Verantwortung dafür, dass vor Abschluss des Grundstückvertrags vom 28.10.1996 die hierfür erforderliche Zustimmung der Stadtvertretung nicht eingeholt worden war. Der Landesrechnungshof kann nicht ausschließen, dass dem damaligen Oberbürgermeister im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss vom 28.10.1996 grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden muss. Der Landesrechnungshof erwartet, dass die Stadt Neubrandenburg dafür Sorge trägt, dass entsprechende Ersatzansprüche nicht verjähren.

Die Durchführung des Grundstückskaufvertrags nach Scheitern des Thermenprojekts - insbesondere den Übergang des Eigentums am Thermengrundstück auf die A-KG - hat gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 KV M-V der seinerzeitige Oberbürgermeister zu vertreten. Nach Einschätzung des Landesrechnungshofes ist nicht auszuschließen, dass grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Der Landesrechnungshof hat die Stadt Neubrandenburg aufgefordert, einen Regress aus § 86 Landesbeamtengesetz zu prüfen. Zugleich hat der Landesrechnungshof das Innenministerium gebeten, disziplinarische Maßnahmen zu prüfen.

Die unzureichende Information der Stadtvertretung Neubrandenburg über die Risiken der Mitwirkung städtischer Gesellschaften der Stadt an der Finanzierung der Therme durch Gewährung von Krediten an die A-KG hat ebenfalls der seinerzeitige Oberbürgermeister gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 KV M-V zu vertreten.


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